Die Militäraufklärung der Nationalen Volksarmee der DDR

Am 01. September 1952 wurde auf Befehl des Innenministers der DDR und auf Empfehlung der sowjetischen Streitkräfteführung eine Dienststelle der Kasernierten Volkspolizei der DDR zur Ausspähung des militärischen Gegners gegründet. Die Bezeichnung der Dienststelle im offiziellen Schriftverkehr des Innenministeriums lautete "Allgemeine Verwaltung" ; Generalmajor Karl Linke wurde mit ihrer Leitung beauftragt. Vorbild dieses Dienstes zur Ausspähung des militärischen Gegners war der sowjetische militärische Geheimdienst GRU (GRU = Glavnoje Rasvedyvatelxnoye Upravleniye = Hauptverwaltung für Aufklärung im Volkskommissariat für Verteidigung).

Die Militäraufklärung der NVA (Bereich Aufklärung) unterstand zuletzt als Stabsteil dem Stellvertreter des Ministers und Chef des Hauptstabes des Ministeriums für Nationale Verteidigung (MfNV). Dieser hatte in enger Zusammenarbeit mit der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sowie anderen Aufklärungsdiensten  des Warschauer Paktes die militärische Aufklärung sicherzustellen.

Der Leiter des Bereiches Aufklärung war zugleich Chef Aufklärung der NVA, dem an Aufklärungstruppen truppendienstlich nur das Funkaufklärungsregiment 2 (FuAR-2) mit Standort Dessau unterstand, das 1988/89 zum Zentralen Funkdienst (ZFD) umgegliedert wurde.

Gegliedert war der Bereich Aufklärung in Verwaltungen, Abteilungen, Unterabteilungen, selbstständige Unterabteilungen, Arbeitsgruppen und operative Außenstellen.

Struktur der Militäraufklärung (Stand 08.01.1988)

Chef und Stab

Personalbestand

47

1. Verwaltung (Agenturaufklärung) 

160

2. Verwaltung (Strategische Aufklärung, u.a. Militärattachedienst)

249

3. Verwaltung (Operativ-Taktische Aufklärung) 

53

4. Verwaltung (Operative Sicherstellung) 

342

5. Verwaltung (Informationsdienst) 

151

Direkt unterstellt:

Schule der Militäraufklärung, Klietz
(Tarnbezeichnung "Militärwissenschaftliches Institut" (MWI))

146

Funkaufklärungsregiment 2, Dessau

ca. 900

Das Ziel der Militäraufklärung der NVA war das Beschaffen bzw. Sammeln und Auswerten von Informationen über die militärische Lage und die Meldung der Ergebnisse für eine militärische Lagebeurteilung. Die Aufgaben der Verwaltungen im Einzelnen:

Die Struktur der Zentrale der Militäraufklärung und auch der Standort in Berlin wurden seit seiner Gründung 1956 mehrfach verändert:

N.a. die Chefs des Bereiches Aufklärung, die ihn bis 1990 geführt haben:

Im Januar 1990 wurde aus der Verwaltung Aufklärung der Nationalen Volksarmee das "Informationszentrum des Ministeriums für Abrüstung und Verteidigung" gebildet; dieser Namenswechsel führte zu einer grundlegenden Änderung des Inhalts seiner Tätigkeit. Von der gedeckten, teils mit geheimdienstlichen Mitteln arbeitenden militärischen Aufklärung erfolgte der Wechsel zum offenen, auf alle Staaten, einschließlich Osteuropäischer und Warschauer Vertragsstaaten, orientierten Analysezentrum.

Am 16. März 1990 befahl der Verteidigungsminister der DDR, Admiral Theodor Hoffmann, dem Chef des Informationszentrums (IZ), die Beendigung der illegalen Arbeit der militärischen Aufklärung bis Ende März 1990. Ferner befahl er, bis zum 31. Juli 1990, alle personellen, materiellen und finanziellen Nachweise, Karteien, Akten oder sonstige Unterlagen zu vernichten, die zur Aufdeckung von Personendaten führen könnten. Aufgrund dieses Befehls wurden alle so genannten "personengebundenen" oder "personenbezogenen" Akten in den Händen der Führungsoffiziere, in irgendwelchen Zwischenlagern oder Schränken des Ministeriums für Abrüstung und Verteidigung vernichtet, um im Sinne des Personenschutzes unerwünschte Rückschlüsse zu verhindern. Ebenso wurden alle Akten beseitigt, die Rückschlüsse auf konspirative Personen zugelassen hätten. Bereits archivierte Akten wurden aus dem Militärarchiv der DDR, Potsdam, zurückgerufen. Nach dieser "Aktenbereinigung" fehlten von 250 rund 80 Archivschachteln.

Auf Weisung des Chefs des IZ wurde im Zuge der Militärreform die illegale militärische Aufklärung mit Ablauf des 31. März 1990 eingestellt und als selbständiger Bereich bis zum 31. August 1990 vollständig aufgelöst. Dies schloss auch die sicherstellenden Elemente und das Militärwissenschaftliche Institut (MWI) in Klietz ein.

Sei März 1990 erfolgte die Informationsbeschaffung, -bearbeitung, -analyse und -bewertung auf völlig neuer Grundlage. Früher wurde die Einschätzung der militärpolitischen und militärischen Lage auf der Grundlage der vom illegalen Apparat eingebrachten Ergebnisse vorgenommen. Nun erfolgt dies ausschließlich auf der Basis offizieller Informationen und eigener Analysetätigkeit des Informationsdienstes, der der Hauptträger der Veränderungen war. Alle anderen verbleibenden Strukturelemente arbeiteten ihm zu.

Auch der Inhalt der Tätigkeit des IZ wurde prinzipiell verändert. Er umfasst die militärpolitische und militärische Lageeinschätzung "außerhalb der DDR". Alle NATO-, neutralen und osteuropäischen Staaten (einschließlich der Warschauer Vertragsstaaten) wurden ebenso einbezogen wie die Lageentwicklung in den außereuropäischen Regionen. Hinzu kam die Ausrichtung der Arbeit des IZ auf die reale Darstellung und Wertung der Vertrauensbildung, Verifikation und Abrüstung.

Am 03.10.1990 wurde das IZ - im Personalumfang um fast 50 % reduziert - von der Bundeswehr übernommen und bis zum 31.12.1990 ganz aufgelöst. Seine Tätigkeit stellte das IZ ebenfalls zum 03.10.1990 ein, die Agenturaufklärung endete bereits im Mai 1990.


Die Zentrale an der Oberspreestrasse wurde auch als "Mathematisch-Physikalisches Institut der NVA" bezeichnet und bestand im Wesentlichen aus einem siebenstöckigen Bürogebäude und einem dreistöckigen Dienstgebäude, die mit Fußgängerbrücke verbunden waren. Letzteres war mittels einer weiteren Fußgängerbrücke mit einem vierstöckigen Hochbunker (Objekt 17/8618) verbunden, der erst kurz vor der Wende bautechnisch fertiggestellt wurde.

google earth placemark  arrow.gif (948 Byte)Karte

   Berlin Oberspreestasse Satellitenfoto: D-Sat 5 (Buhl Data Service GmbH)

Blick auf das Bürogebäude
(vom Unterkunftsgebäude aus)
Blick auf das Wirtschafts- und Unterkunftsgebäude
(vom Bürogebäude aus)
Blick auf das Dienstgebäude und Hochbunker (dahinter) Hochbunker Schild am Tor (1990) Gedenkmünze

Im Inneren des Gebäudes war der eigentliche dreistöckige Bunker integriert, der als Lagezentrum (LZ) für den Informationsdienst vorgesehen war. Um den Bunker herum befinden sich quasi als "Knautschzone" Büroräume, die vierte Etage des Gebäudes, also  über dem Bunker, ist als Sporthalle angelegt worden. 
Der Operative Bereich umfasst 39 Arbeitsräume, sieben davon sollten das Lage- und Informationszentrum bilden. Eine Kartenzuganlage für bis zu vier Lagekarten mit einer Größe von ca. 2,80 m x 9,00 m, ein videobasiertes Lage- und Meldenetz, bestehend aus 15 Video-Farbkameras, sieben Videorecordern und einem Großbildprojektor sollten die moderne Ausstattung vervollständigen.
Von dem aus 27 Büros bestehenden Nachrichtenbereich waren 22 der Nachrichtenzentrale zugeordnet. Zur umfangreichen technischen Ausstattung gehörte auch ein auf 40 m ausfahrbarer Antennenmast. Die Schachtöffnung auf dem Dach wurde hydraulisch betätigt; die liegend angeordneten DTT-Tore sind auch bekannt auch von den FB-75 Bunkern.
Weitere 21 Räume dienten der allgemeinen Sicherstellung des Dienstbetriebes (Sanitärbereich, Küche, etc.), in der untersten Etage waren die technischen Versorgungsanlagen untergebracht, die für eine gewisse Zeit auch einen autarken Betrieb des Bunkers sicherzustellen hatten. Unweit des Hochbunkers waren mindestens drei Sensoren installiert, einen Drucksensor und zwei baugleiche Gammasensoren zur Messung von Gammastrahlungswerten nach einem möglichen Kernwaffeneinsatz.
Der Bunker umfasste eine Bruttofläche von 2.280 qm und war für ca. 185 Personen ausgelegt. Auf den Operativen Bereich entfielen ca. 1.154 qm, auf den Nachrichtenbereich ca. 335 qm.
Das vierstöckige Gebäude wurde jedoch nicht mehr bezogen.

Hochbunker (Querschnitt) Lageraum mit Kartenzuganlage Lageraum mit Kartenzuganlage Kartenzuganlage Lageraum mit Kartenzuganlage Lageraum mit Rohrpost
Lageraum mit Rohrpost Rohrpostanlage Verbindungsgang mit Einbauschränken Etagenrettungsplan (wohl schon aus Bw-Zeit) Flur Verbindungsgang zum Schutzbereich
getäfeltes Dienstzimmer mit Falttür dahinter eine Schutztür getäfeltes Dienstzimmer mit Schutztür getäfeltes Dienstzimmer Büro mit Einbauschränken Treppenhaus Untergeschoß
Schutztüren im Untergeschoß Druckluftversorgungsanlage Stromverteiler Flur Wasserversorgungsanlage Netzersatzanlage mit zwei Dieselgeneratoren

Das Lagezentrum war bis zur Auflösung in dem großen siebenstöckigen Bürogebäude untergebracht.

Lagekarte - NATO/Westeuropa Lagekarte - Welt Lagekarte - Zentraleuropa Lagekarte - Europa
 
Lagekarte - Streitkräfte Videoanlage Videoanlage

 


Wappen DtVKdo WGT

In die Liegenschaft an der Oberspreestraße zog am 25.10.1991 ein neuer Nutzer ein: das am 04.10.1990 in Strausberg aufgestellte Deutsche Verbindungskommando (DtVKdoWGT) zu den Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland , ab 01.09.1992 als Westgruppe der Truppen (WGT) bezeichnet. Als Dienstgebäude wurde der ehemalige Hochbunker genutzt. Das Kommando war vom Bundesminister der Verteidigung für die Gesamtkoordinierung des planmäßigen Abzuges der WGT aus Deutschland beauftragt worden; die Außerdienststellung erfolgte am 19.09.1994 nachdem die WGT aus dem wiedervereinigten Deutschland abgezogen war.

Heute befindet sich in vier von 1996-99 für ca.19 Mio DM umgebauten Gebäuden der Liegenschaft Oberspreestrasse das Kreiswehrersatzamt Berlin I.


Dank an Herrn K.-P. Bittner für die Fotos aus dem Hochbunker.